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Veranstaltung: Dichterkrönung in der Wohnküche

Dienstag, 7.3.2017, 18:30 Uhr, Berlin, Denkerei, Oranienplatz 2, 10999 Berlin

Bazon Brock, Lorenz Jäger und Thomas Kapielski sprechen über den legendären Frankfurter Aktionskünstler und Dichter Hans Frosch Imhoff

„Wissen mehr als zwei Dutzend Bürger Frankfurts, daß in ihrer Bauklötzchenschachtel zu Füßen des keltischen Heiligtums ein Dichter wohnt? Sie können es nicht wissen, weil ihnen verwehrt blieb, die Dichter noch zu kennen, diese Gestalten ein für allemal vergangener Zeiten.

Wie aber lebt dann Hans Imhoff in Frankfurt und ist ein Dichter? »Die ständig wachsende Konkretisierung meiner selbst, d. h. die immer dichtere Einarbeitung von Vergangenheit und Zukunft, von geschichtlicher Tiefe in mein zufälliges Leben bildet eine meiner Hauptsorgen. Ich komme ihr jedoch nach, wie es meine Kräfte gestatten.«

Wenn eine Gestalt des Geistes vergangen ist, dann vermag sie als solche vergangene nur in der Gegenwart erkannt zu werden; denn das Vergangene ist ja nur das Vergangene der Gegenwart. Die Dichter müssen also leben, um vergangen zu sein. Die Vergangenheit (wie auch die Zukunft, die ja nur die Zukunft des Gegenwärtigen ist) muß, so Hans Imhoff, immer dichter in die Gegenwart eingearbeitet werden. In dieser Einarbeitung von Vergangenheit und Zukunft als nur in der Gegenwart bedeutsame Figurationen des Lebens tritt der Dichter in Erscheinung. Das ist Imhoffs Position wie die eines jeden klar und genau Unterscheidenden.

Den philologischen oder archäologischen Rekonstruktionen der Vergangenheit mangelt diese Unterscheidungskraft. Sie geben nur vor, beweisen zu können, daß das Vergangene die Gegenwart hervorgebracht habe und sich in die Zukunft fortsetzen werde. Sie sind an der Vergangenheit nur interessiert, um die Zukunft zu erkennen und ein Paradigma der Utopie zu gewinnen. Sie sind bloße Spekulanten des Zeitvergehens. Aber die Geschichte, die der Dichter konkretisiert, ist die Geschichte des Zeitloswerdens in jenem Zustand, in dem alles gleichermaßen vergangen ist und niemand mehr vor der Zukunft zittert, weil er sie bereits als zukünftige Vergangenheit weiß. Wem das gelingt, ist ein Dichter. Ob er denn schreibt, ein Kind erzieht oder der Logik des Plans im Beziehungsgeflecht der Menschen nachspürt, das man ihre Kultur nennt. [...]“

Weiterlesen unter: Bazon Brock: Dichterkrönung in der Wohnküche. Frankfurter Rundschau, 15.06.1991: http://www.bazonbrock.de/werke/detail/?id=3102&sectid=2721

Zu den Personen

Lorenz Jäger, geboren 1951, studierte Soziologie und Germanistik in Marburg und Frankfurt am Main, anschließend unterrichtete er deutsche Literatur in Japan und den Vereinigten Staaten. 1997 wurde er Redakteur im Ressort Geisteswissenschaften der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», das er seit 2015 leitet. Lorenz Jäger ist Autor mehrerer Bücher, darunter «Adorno. Eine politische Biographie» (2003).

Thomas Kapielski, geboren 1951 in Berlin, studierte Philologie, Physische Geographie sowie Philosophie an der Freien Universität Berlin.
Kapielski veröffentlichte ab den 1990er Jahren Texte u. a. in der Zeit, der FAZ, der Frankfurter Rundschau. Er arbeitet als Schriftsteller, Künstler, Musiker (Mitglied im »Original Oberkreuzberger Nasenflötenorchester«) und Dozent.

Selbstkrönung Hans Imhoff 1991

Selbstkrönung Hans Imhoff 1991